Südafrika & Lesotho
Auf dem Pony durchs Königreich
August 26, 2015
Nach den letzten Mails habe ich ein wenig die Befürchtung, dass euer Bild von Südafrika nicht das beste sein dürfte 🙂 Um das ein Stück weit zu korrigieren: Fast alle Menschen, die ich bisher getroffen habe, waren sehr warm und herzlich – viele haben mich relativ direkt eingeladen, etwas mit ihnen zu unternehmen. Doch was für mich ein bisschen schwierig einzuordnen ist, ist, dass ein paar wenige davon bewusst oder unbewusst, offen oder subtil, rassistische Ansichten zeigen und Schwarze sehr schroff behandeln.
So kommt es dazu, dass in meiner Wahrnehmung und damit auch in den Mails, diese negativen Eindrücke die Oberhand gewinnen, obwohl es genauso viele (und wahrscheinlich mehr) freiheitlich und nicht rassistisch denkende Menschen gibt. Ebenso verhält es sich mit den anderen gesellschaftlichen Missständen, die mich manchmal, gerade anfangs, in ihrer Extremität etwas überrollt haben. Noch erschreckender ist jedoch, wie schnell man sich an vieles gewöhnt und es nicht mehr hinterfragt. Dass zum Beispiel alle mir bekannten Führungspositionen in der Uni mit Weißen besetzt sind (bei 10 % Weißen und 90 % Schwarzen in der Bevölkerung); immerhin sind einige der Doktoranden und Studierenden in meiner Arbeitsgruppe schwarz. Oder dass praktisch alle „einfachen“ und/oder körperlichen Arbeiten (Bauarbeiter [die in der Uni selbst am public holiday schuften mussten], Supermarktangestellte, Securitypersonal,…) von Schwarzen erledigt werden. Oder dass 60 % der Studierenden auf dem Campus hungern, weil sie sich keine vollwertige Ernährung leisten können und viele ihr Studium aufgrund von Armut abbrechen müssen. Oder dass die meisten Bedienungen in Restaurants kein Gehalt bekommen, sondern vollständig von Trinkgeldern leben – deshalb gibt es in den meisten Restaurants eine ganz Schar von Bedienungen.
Über all diese Sachen denkt man nach einer gewissen Zeit nicht mehr nach und sie werden ein Stück weit selbstverständlich – da verwundert es dann nicht, dass vieles (wie die Rollenverteilung) in der Gesellschaft als eine Art ungeschriebenes Gesetz etabliert ist. Wie gesagt, soll all dies aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie herzlich die meisten Menschen sind, wie interessant die multikulturelle Gesellschaft – und wie wunderbar auch die Landschaft ist.
Doch vor einem kleinen Reisebericht noch einmal ein paar unerfreulichere Worte zu einem Thema, das mir wenig überraschend sehr am Herzen liegt – dem Umweltbewusstsein. Denn das ist leider katastrophal. Angefangen bei Mobilität (praktisch alle Weißen haben ein eigenes Auto (oft große Pick-Up-Trucks), Radverkehr ist bis auf kleine Ausnahmen inexistent und ÖPNV wird nur von Schwarzen genutzt) und Energieerzeugung (zu 90 % aus fossilen Quellen, zum Großteil Kohle – Südafrika ist daher der fünfzehntgrößte CO2-Emittent der Welt, während das riesige Potential erneuerbarer Energien wie Sonne und Wind erst zögerlich genutzt wird. Ich habe gehört, dass es schon mehrere Solarparks gibt, die bereit zur Einspeisung sind, aber vom staatlichen Energieversorger Eskom nicht ans Netz gelassen werden, da es diesem rechtlich untersagt ist, Strom von privaten Anbietern abzunehmen und Initiativen, das entsprechende Gesetz zu ändern, von der fossilen Lobby abgeblockt werden.)
Ähnlich verheerend fällt die Bilanz in Sachen Abfallpolitik aus. Es gibt keinerlei Mülltrennung, sondern einen Sack für alles. Dieser Abfall wird dann zu einem guten Teil in offenen Deponien entsorgt; an manchen sind wir bei Überlandfahrten auf der Landstraße auch schon direkt vorbeigekommen. Ein anderes frappierendes Erlebnis hatte ich, als ich auf dem Weg zur Uni mit dem Rad an der Ampel hinter einem Auto stand. Auf einmal wurde dessen Fenster heruntergelassen und es flog eine leere Lebensmittelverpackung auf die Straße. Resultat davon sind von Müll gepflasterte Straßenränder. Und da hier mehr noch als in Deutschland die Take-away-Kultur verbreitet ist, fallen zudem gewaltige Müllmengen an: An der Uni essen die meisten Studierenden bei einer Reihe von ca. 10 Ständen, von denen kein einziger Mehrweg‑ Geschirr/Besteck verwendet. Sondern alles in Pappe, Plastik oder Styroporboxen. Ich bringe eine Tupperbox mit und lasse mir das Essen darin abfüllen. Hat zwar meistens eine Weile gedauert, bis sie das verstanden haben, aber jetzt kennen sie mich immerhin schon, wenn ich mit meiner Box ankomme 🙂 (und wissen zumeist auch schon, dass ich der komische Mensch bin, der kein Fleisch isst.)
Thema Ernährung: Die der Weißen besteht zum Großteil aus Fleisch. Was dazu gereicht wird, ist entweder frittiert (Pommes/Teigfladen) oder totgekocht (Gemüse). Aber vor allem wird sehr viel Fleisch gegessen (eine Spezialität ist z.B. Biltong, Trockenfleisch). Vegetarismus hat den Status einer seltenen Krankheit und nach einem mitleidigen Blick wird man behandelt, als würde einem ein Körperteil fehlen. 🙂 Aber immerhin habe ich auch schon zwei südafrikanische Vegetarier*innen kennengelernt. Als ich meine Vermieterin fragte, ob es irgendwo Bioprodukte zu kaufen gebe, wollte sie das ihre Tochter fragen – „She’s on a sort of strange diet now.“ – „What kind of diet?“ – „She doesn’t eat meat anymore.“ Noch schlimmer wird es mit Veganismus. Zum einen ist es hier ungleich komplizierter, sich ausgewogen zu ernähren und zum anderen säße man oft vor einem leeren Teller, wenn man mit Leuten was essen geht. Als wir zum Beispiel mit der Arbeitsgruppe frühstücken gegangen sind, um einen fertig gewordenen Masterstudenten zu verabschieden, fand dies in einem Steakhouse statt. Das Standardfrühstück dort besteht zur Hälfte aus Fleisch (und zur anderen aus Eiern und Pommes). Dieses wurde dann von den meisten noch mit Würsten oder Burgerbratlingen aufgestockt. Um 10 Uhr morgens. Auch hier war es wieder ein gutes Stück Arbeit, bis die Bedienung verstand, dass ich kein Fleisch essen möchte.
Interessanter wird es bei der „schwarzen“ Küche. Die enthält zwar natürlich auch Fleisch (es ist wahrscheinlich auch ein gewisses Statussymbol, Fleisch essen zu können), aber meinem Eindruck nach etwas weniger. Dazu gibt es Reis oder – meistens – „Pap“, Maisgrieß, der mit etwas Salz und Wasser gekocht wird. Pap ist der zentrale Bestandteil des Essens, vor kurzem durfte ich einer ausgiebigen Fachsimpelei über die korrekte Zubereitung beiwohnen (Verhältnis Grieß zu Wasser, Kochzeit,…). Zu Pap gibt es zumeist Kürbis, Spinat und Bohnen oder anderes Gemüse. Sehr schmackhaft und durch Pap auch sättigend!
Eine solche typische Mahlzeit durften wir vorletztes Wochenende in Lesotho kosten. Lesotho ist ein kleines Königreich, das vollständig von Südafrika umschlossen wird und dessen Grenze nur ca. 100 km von Bloemfontein entfernt ist. Es besteht neben dem „Tiefland“ zum Großteil aus Bergen. Anführungsstriche deshalb, weil Lesotho das Land mit dem höchsten tiefsten Punkt von allen Ländern der Erde ist (bei ca. 1400 m), zumindest solange Tibet nicht unabhängig ist. Es wird oft „land without fences“ genannt, weil traditionell alles Land dem König gehört und kein Privatbesitz ist. (Praktisch haben wir aber dann doch einige Zäune gesehen.)
Ich war dort mit Michèle, einer anderen Deutschen, die auch an der Uni in Bloemfontein Praktikum macht. Wir hatten ein Auto gemietet und sind Freitagabend nach einer Polizeikontrolle in Südafrika (zum Glück hat ihnen mein deutscher Führerschein gereicht und sie wollten keinen Internationalen sehen), nach Überqueren der Grenze an einer kleinen verschlafenen Grenzstation im Niemandsland und nach abenteuerlichen, weil ungeteerten letzten 7 km in der Malealea Lodge angekommen. Diese Lodge in einem Bergdorf ist auch unter Südafrikaner*innen sehr bekannt und wird von allen Reiseführern empfohlen, vor allem wegen ihrer Lage und der gelungenen Einbindung in die lokale Dorfgemeinschaft.
Doch auch wenn eine Empfehlung im Lonely Planet einen von Touristen überlaufenen Platz befürchten lässt (die ersten Gäste, die wir trafen, waren dann auch direkt Deutsche), hat sich die Lodge meiner Ansicht nach trotzdem eine gewisse Authentizität bewahrt (gerade ist zudem Nebensaison, weswegen nicht viel los war). Los ging es Samstagmorgen mit einer Ponywanderung – Ponys stellen neben Eseln aufgrund der gebirgigen Landschaft ein wichtiges Transport- und Fortbewegungsmittel in Lesotho dar. Auf unsere sorgenvolle Nachfrage hin versicherte uns der Lodgebesitzer, dass 90 % der Gäste, die einen Ponytrek machen, vorher noch nie geritten seien und so wagten wir uns mit Hilfe eines Guides aus dem Dorf in den Sattel. Anschließend ging es eine Stunde lang zunächst über Feldwege durch Ackerland. Aufregender (um ehrlich zu sein, rutschte mein Herz ein gutes Stück nach unten) wurde die Sache, als wir an einen recht steilen, felsigen Hang ohne erkennbaren Weg kamen und mein Pferd keine Anstalten machte, langsamer zu werden. In diesem Moment dachte ich dann „Es wird schon wissen, was es tut“ und dem war auch so – die Pferde sind extrem gut trainiert und kennen die Route praktisch schon auswendig. So kamen wir bis auf ein leicht schmerzendes Gesäß wohlbehalten an einer spektakulären Schlucht an, wo uns von einem weiteren Guide einige Wandmalereien der dort früher ansässigen Buschleute gezeigt wurden. Zurück mussten wir die Pferde dann fast gar nicht mehr lenken, Kommentar des Guides: „They’re going home now.“
Samstagnachmittag wie auch Sonntagvormittag wanderten wir (zu Fuß) ebenfalls unter Begleitung eines Guides aus dem Dorf zu zwei weiteren wunderschönen Punkten, einem 20 m-Wasserfall und einer Schlucht mit Felsenpools. Aus europäischer Perspektive mag es verwundern, warum man für jede Wanderung einen Guide braucht, jedoch darf man sich die Routen dort nicht wie einen schönen Alpen-Wanderweg mit Beschilderung und gut erkennbarem Fußpfad vorstellen. Vielmehr ging es über weite Strecken über felsige Hänge und durch Flussbetten und Täler, wo menschlicher Einfluss erst auf den zweiten Blick erkennbar ist – kurz: ohne Guide hätte man keine Chance, den Weg zu finden. Zudem konnte man sich mit den meisten auch gut über das Leben im Dorf unterhalten. Alle Kinder lernen Englisch in der Schule und durch die tägliche Übung mit Touristen ist das Englisch der Guides so weit, dass man ganz gut mit ihnen sprechen kann.
Tatsächlich hatte ich auf diesen Wanderungen zum ersten Mal seit meiner Ankunft hier das Gefühl, die „erste Welt“ ein Stück weit verlassen zu haben. Die Äcker werden noch mit Ochsen bestellt, Menschen waschen ihre Kleidung im Fluss und an den Berghängen und in den Tälern sieht man Hirtenjungen mit ihren Schaf-/Ziegen-/Kuhherden, die sich die Zeit mit Mühlespielen oder Singen vertreiben. Samstagnachmittag zum Beispiel wanderten wir in einem Flussbett, während oben am Hang ein Junge aus voller Kehle sang.
Jeden Abend treten in der Lodge ein Chor sowie eine Band (mit selbstgebastelten Instrumenten) aus dem Dorf auf, sodass wir Samstagabend in den Genuss eines einstündigen Konzerts traditioneller Basotho-Musik kamen. Vor dem letzten Lied bot einer der Sänger dem (aus vier Personen bestehenden) Publikum an, dass man zum Abschluss mit ihnen tanzen könne. Das probierte ich dann auch gleich mal aus und kam so danach noch ein bisschen mit den Leuten ins Gespräch. So erfuhr ich, dass viele der Bandmitglieder AIDS-Halb- oder Vollwaisen sind und sie von den Spenden der Besucher*innen leben (wie an anderer Stelle geschrieben, hat Lesotho mit um die 40 % eine extrem hohe AIDS-Quote). Auf die Frage nach den Inhalten ihrer Lieder wurde mir erklärt, dass viele sich thematisch um AIDS-Aufklärung drehen, was mir ein wenig ein flaues Gefühl in der Magengrube gab, nachdem ich mich zuvor noch über die Fröhlichkeit der Musik gefreut hatte.
Nach dem Konzert fragte mich ein etwas beleibter, gut gekleideter, ca. 45jähriger Schwarzer aus dem Publikum, wann und wo es denn Abendessen gebe. Als ich anfing, zu überlegen, ob ich das irgendwo gelesen haben könnte, fragte er ganz erstaunt: „Ah, you’re not working here?“ Er ging davon aus, dass ich in der Lodge arbeiten würde, weil ich mit der Band getanzt hatte. Daraufhin verwickelte er mich in ein ziemlich absurdes, ca. halbstündiges Gespräch, das damit begann, dass er mir erklärte, dass er sich gerade das Konzept der Lodge anschaue, da er in naher Zukunft auf mehreren Grundstücken in Lesotho und Botswana (ich musste viele Fotos bewundern) auch Lodges errichten wolle und jetzt auf Ideensuche sei. Einige weitere Highlights: Die Person, die er historisch am meisten bewundere? Hitler! (Weil der nicht nur geredet, sondern auch gehandelt hat.) Frauen sind generell brauchbarer als Männer, weswegen er Merkel gut findet. Und dann der Höhepunkt: „If you have ten white persons, then 8 out of them are useful and 2 are stupid. If you have ten black persons, then 2 out of them are useful and 8 are stupid.” Rassismus von Schwarzen gegen Schwarze – was soll man da noch entgegnen?
Doch zum Glück nahm der Abend noch einen erfreulichen Verlauf: In der Lodge hing ein Zettel aus mit dem Angebot, traditionelles Basotho-Essen zu probieren. So bestellten wir nachmittags zwei Mahlzeiten für abends und dachten, diese im Speisesaal der Lodge zu bekommen. Doch als wir dort um kurz vor sieben eintrafen, wurden wir von Teboho, einem Dorfbewohner, erwartet. Dieser führte uns aus der Lodge heraus zu seinem Zuhause, einer kleinen Ein-Zimmer-Hütte. Im Dorf war es bereits stockfinster: Nur die Lodge hat einen Dieselgenerator, der bis 22 Uhr Strom liefert. Manche Häuser im Dorf haben zwar Solarpaneele, doch deren Strom reicht nur fürs Radio und zum Laden der Smartphones/Handys. Dank Tebohos Taschenlampe kamen wir unbeschadet in seinem Zuhause an, das von einer kleinen Petroleumlampe erhellt wurde. Mir wurde zum ersten Mal bewusst, was es real heißt, ohne ausreichende Elektrizität zu leben. Nachdem er ein paar Minuten verschwunden war, um das Essen aus seiner Küche in einer anderen Hütte zu holen, kam er mit drei dampfenden Tellern zurück: Pap mit Bohnen und Spinat. Alles im Dorf angebaut, der Spinat sogar von ihm selbst. Letzterer wird nach der Ernte in einem ziemlich komplizierten Verfahren für eine Stunde über offenem Feuer eingekocht, wodurch er einen einzigartigen Geschmack bekommt. Das Essen war sehr gut gewürzt und aufeinander abgestimmt – lekker, wie man in Südafrika sagen würde :). Nach dem Essen sprachen wir noch eine Weile mit ihm über die Situation im Land und dieses und jenes, doch da er am nächsten Tag um fünf Uhr aufstehen musste, um seine Pferde zu füttern, brachte er uns bald wieder in die Lodge zurück. Nebeneffekt der Dunkelheit im Dorf war ein in Deutschland nur selten zu sehender Sternenhimmel mit klar zu erkennender Milchstraße.
Nach der Wanderung am Sonntag und vor unserer Abfahrt machten wir noch einen kleinen Spaziergang durchs Dorf zu einem winzigen Museum, wo uns ein junger Mann wichtige Elemente der Basotho-Kultur wie die Rolle der traditionellen Heiler, deren Heilpflanzen und ihre Anwendung erklärte. Interessant war vor allem, zu hören, welche der traditionellen Elemente und Strukturen noch heute Gültigkeit besitzen, welche abgewandelt wurden etc. Auf dem Spaziergang zurück in die Lodge trafen wir viele Dorfbewohner*innen in ihren besten Kleidern, die gerade vom Sonntagsgottesdienst kamen. Wie in Südafrika hat auch dort Religion noch einen wesentlich höheren Stellenwert als in Deutschland. Und dann hieß es auch schon, schweren Herzens Abschied zu nehmen von der wunderbaren Landschaft und vor allem der herzlichen Freundlichkeit der Menschen (die zweifelsohne durch den Fakt, dass wir geldbringende Touristen waren, noch verstärkt wurde, aber meinem Gefühl nach nicht nur dadurch hervorgerufen wurde).