Südafrika & Swasiland
Fotografieren und fotografieren lassen
September 30, 2015

Auf dem Weg von Durban nach Norden durchquerten wir den neben Lesotho zweiten Kleinstaat, der eng mit Südafrika verbunden ist: das Swasiland, die letzte absolutistische Monarchie Afrikas. Nach den Sotho, Xhosa und Zulu lernten wir dort schon den vierten der vielen Volksstämme kennen, die es in der Region gibt. Gesprochen wird Siswati, was zugleich auch eine der elf offiziellen Sprachen Südafrikas ist (in Johannesburg haben wir später einen kennengelernt, der zehn davon spricht!). Leider konnten wir nur eine Nacht und einen halben Tag in Swasiland bleiben, doch da unsere Unterkunft in unmittelbarer Nähe eines Cultural Village lag, bekamen wir zumindest einen Eindruck von der Kultur. Auch wenn diese Dörfer sehr touristisch sind und manchmal ein wenig an Disneyland erinnern, so helfen sie doch, ein Bild von Traditionen und Bräuchen zu bekommen.
Zentrales Element der Swasi-Kultur ist die Polygamie: Die meisten Männer haben mehrere Frauen, und da eine Frau im Schnitt fünf bis sechs Kinder bekommt, werden die Familien schnell sehr groß. Im Prinzip bestand früher daher ein Dorf im Wesentlichen nur aus einer Familie. Jede Frau bekommt nämlich drei Häuser – eins zum Schlafen, eins zum Kochen und eins zum Bierbrauen. Ebenso wie bei den Xhosa und Zulu muss auch eine Swati-Frau mit Kühen „gekauft“ werden, allerdings ist der Preis mit 17 Kühen ungleich höher (wobei die 17 nur dann eintreten, wenn die Frau noch Jungfrau ist bzw. noch keine Kinder von anderen Männern hat – in letzterem Fall ist der Preis Verhandlungssache :)). Für die Prinzessin, also die Tochter des Königs, muss man 100 Kühe hinblättern (und diese müssen tatsächlich auch in der Form realer Kühe abgeliefert werden, während bei normalen Hochzeiten heute meistens Geld den Besitzer wechselt). Der Brautpreis darf nicht auf einmal bezahlt werden, weil das Unglück brächte, sondern wird meistens in zwei Portionen im Abstand von ein paar Jahren beglichen.
Hier klingt schon ein recht starker Aberglaube an, der tief in der Kultur verwurzelt ist. Zum Beispiel dürfen Frauen keine Rinderhirne, -zungen oder –füße essen, weil sie sonst schlauer als der Mann, gesprächig oder flüchtig würden. Einen wichtigen Platz im Dorf nimmt der Kuhverschlag ein, weil dort ihrem Glauben nach die Vorfahren wohnen. Darum findet der erste Teil einer Hochzeit auch immer in diesem Verschlag statt, um den Vorfahren das neue Familienmitglied zu präsentieren. Krass ist auf alle Fälle auch hier wieder die Unterdrückung der Frau, die zum Beispiel auf die Knie gehen muss, wenn sie ihrem Mann etwas bringt. Da die Ehe eine so zentrale Rolle spielt, werden unverheiratete Männer ungeachtet ihres Alters als nicht-erwachsen angesehen, haben dementsprechend kein Mitspracherecht bei wichtigen Entscheidungen und müssen weiterhin in derselben Hütte schlafen wie alle anderen Jungen ab sechs Jahren (interessant ist in dem Zusammenhang auch, wie sie das Alter bestimmen: Die Kinder müssen ihren Arm über den Kopf legen und versuchen, das gegenüberliegende Ohr mit der Hand zu fassen. Erst ab einem Alter von ca. sechs Jahren ist der Arm lang genug dafür. Das ist allerdings kein Aberglaube, sondern wird z.B. auch von den Vereinten Nationen angewandt, um das Alter von Kindern ohne Geburtsdokumente zu abzuschätzen.).
All das Beschriebene stellt natürlich in erster Linie die traditionellen Abläufe dar. Heute leben auch in Swasiland immer mehr Menschen in den Städten oder in größeren Ortschaften. Wie stark sie sich dabei noch an die traditionelle Kultur halten, variiert laut Aussage unseres Guides von Familie zu Familie. Und vieles wurde auch in seiner genauen Ausgestaltung angepasst, so bauen die Männer ihren Frauen in der Stadt normalerweise nicht mehr drei Hütten, sondern kaufen jeder ein Haus (meistens in verschiedenen Stadtteilen, um Eifersuchtsdramen ein wenig zu entschärfen :)). Doch trotz allem bleibt das System der Polygamie in Kraft, der König geht da mit gutem Beispiel voran und hat selbst 13 Frauen (Rekordhalter war König Sobhuza II. mit 69 Frauen und 210 Kindern – und mit 83 Jahren Amtszeit der längst-regierende Herrscher aller Zeiten). Seine Ehefrauen wählt er beim alljährlich stattfindenden Umhlanga-Tanz aus, bei dem alle unverheirateten Frauen des Landes barbusig an seinem Hof für ihn tanzen. Dieser Tanz wird zwar von verschiedenen Organisationen stark kritisiert, doch ebenso wie die langsam aufkeimende Demokratiebewegung kann das dem König nicht viel anhaben. Auf jeden Fall ist es spannend zu sehen, wie viele in manchen Dingen doch sehr unterschiedliche Volksstämme in Südafrika und Umgebung auf relativ kleiner Fläche zusammenleben.

Ziel nördlich von Swasiland war der bekannteste Nationalpark Südafrikas: Der Krügerpark, der sich an der Grenze zu Mosambik auf einer Länge von 350 km und einer durchschnittlichen Breite von 54 km erstreckt – also in etwa auf der Fläche von Wales! Aufgrund dieser Dimensionen empfiehlt es sich, in einem der Restcamps im Park zu übernachten, um nicht jeden Tag rein- und wieder rausfahren zu müssen. Außerdem werden in den Camps auch verschiedene Safaris angeboten, die man nur buchen kann, wenn man Übernachtungsgast ist. Zum Glück hatten wir bei der Buchung vor zwei Monaten noch Betten für zwei Nächte bekommen (für die Hoch-/Feriensaison muss man ein Jahr im Voraus buchen). Nach unserer Ankunft ging es direkt mit einem Night Drive los – man fährt mit einem erfahrenen Ranger in einem Safari-Geländewagen durch den Busch und leuchtet die Umgebung auf der Suche nach nachtaktiven Tieren mit Scheinwerfern ab. Ich bekam die verantwortungsvolle Rolle des Scheinwerfer-Führers zugeteilt, doch leider hatten wir eine schlechte Nacht erwischt, wie der Ranger erklärte: Da es wolkenklar war und der Mond nahezu Vollmond, hatten die Raubtiere schlechte Karten. Und auch abgesehen davon erschwerte es die teils dichte Vegetation und der begrenzte Radius der Scheinwerfer, viele Tiere zu sehen. Doch interessant war es trotzdem, da man, wenn man mit seinem eigenen Auto unterwegs ist, zu Einbruch der Dunkelheit nicht mehr im Park fahren darf.
Noch interessanter wurde es am nächsten Morgen, als wir um 5.30 Uhr zum Morning Walk aufbrachen. Neben Fahren im Dunkeln gibt es nämlich eine zweite Sache, die in diesen Parks strengstens verboten ist: Aussteigen. Angesichts der dort lebenden Tiere auch durchaus nachvollziehbar, erst letztes Jahr wurde eine amerikanische Touristin, die sich für ein noch besseres Foto kurz aus ihrem Fenster gelehnt hatte, von dem zwei Meter entfernten Löwen durch einen gezielten Biss in den Hals getötet. Von daher sind die von den Camps organisierten Morning Walks eine einmalige Gelegenheit, zu Fuß durch den Busch zu streifen. Möglich ist das, weil die Spaziergänge von erfahrenen und vor allem bewaffneten Rangern angeführt werden. Ziel ist nicht nur die Tierbeobachtung, sondern die Ranger erzählen auch viel zu Dingen, die man vom eigenen Auto aus nicht so gut erfahren kann: Dung und Zuordnung zum zugehörigen Tier, Fußspuren, Pflanzen, etc. Highlight war aber nichtsdestotrotz, als wir nach einer halben Stunde Marsch plötzlich etwa 30 Meter vor einem dösenden Nashorn standen. Durch leises Anpirschen kamen wir auf ca. 15 Meter heran, bevor das Nashorn gemächlich davonstapfte. Da Nashörner recht schlechte Augen haben und wir zwischen Büschen verborgen waren, konnte er uns nicht sehen. Doch da die Vögel, die auf seinem Rücken geruht hatten, aufgeflogen waren und er auch das Knacken der Äste aus unserer Richtung gehört hatte, hatte er schon mitbekommen, dass da „etwas“ ist. Auch wenn Nashörner außer dem Menschen keine natürlichen Feinde haben, war ihm das nicht ganz geheuer und er machte sich langsam aus dem Staub. Laut den Rangern nehmen die meisten Tiere, sogar Löwen, zunächst einmal die Flucht auf und werden erst aggressiv, wenn sie in die Ecke getrieben werden. Ihre Gewehre mussten sie zumindest noch nie einsetzen.
Den Rest der Zeit waren wir auf größeren und kleineren Straßen mit unserem eigenen Auto unterwegs. Aufgrund der ungeheuer vielen Tiere, die es im Krügerpark gibt (geschätzt 2000 Löwen, 3500 Breitmaulnashörner, 7000 Giraffen, 15000 Elefanten, 23000 Zebras, 130000 Impalas, …), trifft man trotz der Größe des Parks alle paar Minuten auf Tiere, die neben der Straße oder etwas weiter entfernt fressen. Dennoch ist es irgendwie ein seltsames Naturerlebnis, den ganzen Tag im Auto durch die Gegend zu fahren, um Tiere zu sehen. Noch dazu, da viele in dicken Pick-Up-Trucks oder SUVs unterwegs sind, was den Spritverbrauch nochmal erhöht. Komisch ist auch, wie sehr viele Besucher*innen vor allem auf die Big Five fixiert sind und für andere Dinge wie die extrem vielfältige Vegetation und Landschaft nicht so wirklich Augen haben („Ok, that was quite nice, but where do we have to go if we want to see the lions??“). Und die Krönung ist für mich, dass im Restaurant eines anderen Camps im Park unter anderem Kudu serviert wird – also ein Tier, das im Park geschützt wird. Auch wenn das Fleisch von Zuchtfarmen kommt, ist das von der Geste her ziemlich bizarr. Bei uns im Camp war das Restaurant eine Filiale einer Fastfood-Kette à la McDonald’s, irgendwie auch etwas unpassend. Aber trotz dieser eher unglücklichen Eindrücke war es definitiv ein tolles Erlebnis, so viele Tiere in Freiheit zu sehen, die wir sonst nur aus dem Zoo kennen!

Nach einem kurzen Zwischenstopp am Blyde River Canyon ging es zu unserer letzten Station: Johannesburg. In der zugehörigen Provinz Gauteng wird ca. ein Sechstel des südafrikanischen BIP erwirtschaftet, und obwohl sie mit Abstand die kleinste Provinz ist (weniger als halb so groß wie die Schweiz), leben dort 13 von 50 Millionen Menschen (im Gegensatz dazu gibt es eine Provinz, die größer ist als ganz Deutschland und weniger Einwohner*innen hat als München). Pikant daran ist, dass Johannesburg an einer Stelle liegt, wo kein Stadtplaner jemals eine Stadt errichten würde: Es gibt schlicht kein Wasser. Johannesburg ist die größte Stadt weltweit, die weder an einem See, einem Fluss noch am Meer liegt. Alles Wasser für die Stadt muss über Hunderte von Kilometern aus Lesotho gepumpt werden. Noch vor 130 Jahren war an der Stelle des heutigen Johannesburg Grasland und Steppe. Doch als 1886 Gold entdeckt wurde und sich schnell zeigte, dass dort eine der größten Goldlagerstätten der Welt liegt, wurde eine Siedlung für die rasch zunehmende Zahl von Goldschürfern gebaut. Damals hatte aufgrund der unwirtlichen Lage niemand gedacht, dass diese Siedlung den Gold-Boom überstehen würde. Inzwischen ist Johannesburg zum Finanzzentrum Afrikas aufgestiegen und durch die nach wie vor bedeutenden Rohstoffvorkommen im Umland der Wirtschaftsmotor Südafrikas.
Da zum einen der Verkehr in Johannesburg aufgrund der Automassen alles andere als spaßig ist und es zum anderen etwas schwierig abzuschätzen ist, wo man als Tourist*in hingehen kann und wo nicht, entschieden wir uns, die Stadt mit einem klassischen Touri-Doppeldeckerbus zu erkunden. Das war aber auch aus informativer Sicht eine gute Entscheidung, da während der Fahrt viel zu den Gebäuden, den Vierteln und der Geschichte der Stadt erzählt wurde. Und zudem konnten wir so auch einen Abstecher nach Soweto machen, einen Zusammenschluss mehrerer townships im Süd-Westen von Johannesburg (South-Western Township). Nach inoffiziellen Schätzungen leben dort um die vier Millionen Menschen, von denen zwischen ein und zwei Millionen jeden Tag zur Arbeit nach Johannesburg pendeln – mit Bus, Bahn und Minitaxi (von denen es im Großraum Johannesburg um die 70 000 gibt)! Soweto selbst ist inzwischen praktisch eine eigene Stadt und hat als solche mehrere Stadtviertel, die in ihrer Erscheinung von wohlhabend mit Elektrozaun bis zu Wellblechhütten reichen. Und in Soweto liegt die einzige Straße der Welt, in der zwei Nobelpreisträger wohnen (bzw. gewohnt haben) – Desmond Tutu und Nelson Mandela.
An unserem zweiten Tag machten wir uns zur Cradle of the Humankind auf. Dieses Höhlensystem, das inzwischen UNESCO-Weltkulturerbe ist, liegt nur eine Stunde Fahrt außerhalb von Johannesburg und wurde als Fundstätte einiger der bedeutendsten Hominide weltbekannt. Erst vor drei Wochen wurde dort die Entdeckung einer neuen Homo-Spezies (Homo naledi) verkündet. Diese wurden in einer Höhle entdeckt, deren Zugang an seiner engsten Stelle 13 cm breit ist. Um sie zu erkunden, wurde von dem zuständigen Professor eine Stellenanzeige verfasst, die explizit dünne und kleinwüchsige Wissenschaftlerinnen suchte, die durch diese Engstelle passen! Letztlich fanden sich sechs Frauen…
Und damit endete dann auch schon sowohl meine Reise als auch mein ganzer Südafrika-Aufenthalt. Zurück ging es mit vielen neuen Eindrücken von einem spannenden Land, das viele Probleme und noch mehr Lösungsansätze hat, die alle irgendwo ihre Berechtigung haben bzw. nachvollziehbar sind. Und vor allem ist es für mich ein Land mit einer unglaublichen Vielfalt – an Kulturen, Landschaften, Menschen, Tieren, Pflanzen etc. Und ein Land der Kontraste, wo arm und reich, Nationalpark und Umweltzerstörung, Tradition und Moderne sowohl räumlich wie auch abstrakt oft sehr nah nebeneinander liegen. Auf jeden Fall war es eine sehr bereichernde Zeit! 🙂









































































