Südafrika

Von guten und bösen Mi(e)nen

July 27, 2015

Letzte Woche war ich mit zwei anderen Leuten von der Uni in einer stillgelegten Kohlemine in Newcastle (auf dem Weg dorthin sind wir durch Betlehem gefahren und Frankfort war auch nicht weit :)), um dort Proben zu nehmen und einen Pumpversuch durchzuführen. Die (unterirdische und inzwischen geflutete) Mine verseucht das Grundwasser mit Schwermetallen und Schwefel und der Betreiber hat nun die Auflage, das Grundwasser an die Oberfläche zu pumpen und dort zu behandeln. Die Arbeitsgruppe, in der ich gerade arbeite, konzipiert diesen Reaktor. Ziel des Pumpversuchs war, die Ergiebigkeit des Aquifers zu ermitteln, um anschließend den Reaktor entsprechend dimensionieren zu können. Und zusätzlich haben wir noch physikalisch-chemische Parameter des Grundwassers sowie in einem bereits bestehenden Rückhaltebecken bestimmt.

Interessant war, dass neben Alba (einer Spanierin aus meinem Labor) noch ein (weißer*) Südafrikaner, Anton, von ungefähr meinem Alter dabei war und wir im Laufe der Fahrt ein paar Einblicke in seine Sichtweisen bekommen haben. Am Straßenrand stehen relativ häufig (zumeist schwarze) Menschen, die per Anhalter mitfahren möchten, da sie sich weder ein eigenes Fahrzeug noch das Minibus-Taxi leisten können und ihr Ziel zu weit entfernt ist, um zu Fuß zu gehen. Anton meinte dazu, dass er niemals jemanden mitnehmen würde, auch nicht eine alte gebrechliche Oma oder eines der Schulkinder in Uniform, die wir morgens gesehen haben. Nun mag man einwenden, dass er vielleicht einfach weiß, was gefährlich ist. Allerdings gab mir die Pauschalität, mit der er meinte, niemanden mitzunehmen, eher Anlass zur Vermutung, dass er generell Angst vor Schwarzen hat. Zumal Alba häufig Anhalter mitnimmt und noch nie negative Erfahrungen gemacht hat.

Noch drastischer zeigte sich das, als wir am zweiten Tag von unserem Navi mitten in der Provinz in die Irre geführt wurden und daraufhin erst Waldarbeiter und dann Schulkinder nach dem Weg fragen wollten. Jedes Mal hat er versucht, uns davon abzuhalten (“They don’t speak English”, “They don’t know the way” – als ob sie den Weg in die nächste Stadt nicht wüssten), fast so, als hätte er sogar Angst, mit ihnen zu sprechen. Als wir über Analphabetismus sprachen, meinte er, dass 60 % der Bevölkerung nicht lesen und schreiben könnten. Also über 30 Millionen. Die UN geht von ca. 13 % aus (Anton: „They lie.“ – „Und woher hast du die 60 %?“ – „Das ist meine eigene Schätzung.“).

Ich fand das insofern erschreckend, als ich eher gedacht hätte, dass die junge Generation schon ein bisschen offener ist. Aber von verschiedenen Seiten habe ich gehört, dass der Free State, die Provinz hier, eine der immer noch rassistischsten und konservativsten Gegenden ist und die alte Generation, die die Apartheit noch voll erlebt hat, ihre Ansichten in der Erziehung weitergibt.

Das führt dann zu einer Gesellschaft, in der jeder vor jedem Angst hat. Wer sich eine Wohn-Burg leisten kann wie in dem Viertel, wo ich wohne, verbringt dort dann auch den Großteil seiner Freizeit, der Fernseher hat hier einen großen Stellenwert. Weitere wichtige Elemente sind samstags Einkaufen in der Mall und sonntags der Kirchenbesuch. Religion ist sehr wichtig und es kommt nicht so gut, wenn man sagt, dass man nicht so religiös ist 🙂

Und Zebras :-) Im Hintergrund ein altes Observatorium. Die weißen Vögel folgten den Zebras übrigens...

Zudem ist es Standard, eine Maid zu beschäftigen, die putzt, wäscht, etc. Der gesetzliche Mindestlohn für eine Arbeitszeit von mehr als 27 Stunden pro Woche ist ca. 140 € – pro Monat. Auch wenn hier einiges billiger ist als in Deutschland, so muss davon doch oft eine ganze Familie leben, einen Monat lang. Von derart bezahlten domestic workers gibt es ca. 1,5 Millionen in Südafrika.

Alba hat eine Maid, die zweimal pro Woche für 4 Stunden kommt, und zahlt ihr ca. 100 €/Monat, worüber sich viele ihrer Nachbarinnen aufregen, weil es viel zu viel sei. Sie gibt der Maid auch immer noch Essen für ihre Familie mit, während die meisten anderen Wohnungen abschließbare Kühlschränke haben. Und eine Nachbarin von ihr hat schon einmal eine Maid entlassen, weil sie eine halbe Rolle Toilettenpapier mitgenommen hat. Anstatt sich zu fragen, in welcher Not jemand sein muss, der Toilettenpapier einpackt.

Zu der Thematik vielleicht noch ein paar Zahlen, die meines Erachtens für sich sprechen:

  • 15 % der Bevölkerung lebt von unter 1,5 $/Tag, 30 % von unter 2 $.
  • 10 % leben ohne Elektrizität, 25 % haben keinen direkten Zugang zu fließendem Wasser.
  • 13 Millionen Menschen in Südafrika arbeiten, 13 Millionen empfangen Sozialhilfe (Gesamt-Bevölkerung: 55 Millionen).
  • Südafrika ist das Land mit dem höchsten Gini-Index weltweit, der soziale Ungleichheit misst.

 

Das eigentlich Erschreckende daran ist aber, dass ich davon noch sehr wenig mitbekommen habe. Die weiße Bevölkerung lebt komplett in einer Blase, die vom Lebensstandard nicht viel hinter Europa/USA hinterherhinkt und die oben genannten Fakten strikt ausblendet und sich davon abgrenzt. Das Leid und Elend ist in townships am Stadtrand oder außerhalb zusammengefasst, sodass man entspannt im SUV von der Wohn-Burg zur Mall zum Fast Food-Restaurant und wieder nach Hause pendeln kann, ohne irgendetwas davon mitzubekommen. Das ist ziemlich krass. Und dann Leute entlassen, die Toilettenpapier einpacken.

Naja.

Aber es gibt auch Erfreuliches 🙂 Bloemfontein ist die einzige Stadt der Welt (irgendwas müssen sie ja in die Touristenbroschüren schreiben :)), die ein Wildtierreservat in der Stadt hat.

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*Die Verwendung von “weiß”, “schwarz” etc. war auch für mich anfangs ungewohnt, ist hier aber völlig normal und wird z.B. auch in offiziellen Statistiken verwendet.